Paul Klee - Erzengel
Paul Klee - Erzengel (1938)
Zwei Jahre vor seinem Tod schuf Paul Klee dieses Engelsbild. Als Maler der Abstraktion meditierte er seine Sujets, Engel in der archaischen und virulenten Bedeutung der Bibel forderten ihn heraus und begleiteten ihn als hohe Muse der Kunst.
Vor dem in Flächen und Farben zerfallenden Hintergrund erscheinen hieratisch alte Symbole: Gesicht, Flügel, Patriarchenstab, Krummstab, eindringliche ägyptische Symbole. Der Gegensatz zwischen relativierendem, verblassendem Hintergrund und dem Hervortreten der bleibenden Bild- und Schriftsymbole könnte größer nicht sein - Erlebnis und Botschaft eines der wahrhaftigsten Künstlers seines Jahrhunderts. Die klare Schrift, das Wort gegen die Demenz der Farben, nicht umgekehrt.
"Zum Paradiese mögen Engel dich geleiten..."
Meditation
Das Leben als Ackerfeld, wir haben es bekommen, gepflügt und bestellt, gegrast und die Erde gelockert, dem Ungeziefer und manchen Wetterschäden vorgebeugt. Wir haben gesät und es ist gewachsen, wir haben uns gefreut und davon genossen und gelebt.
Ich verweile bei den verblassenden Farben - ich kann sie mit der Zeit und mit etwas Feinsinn zuordnen, Namen geben, Ereignisse und das Datum feststellen. Das kann nur ich allein - der alternde Künstler Paul Klee hat hier auch nicht nur ästhetisch mit Pastell-Farben gespielt. Einmal waren die Farben kräftig, grün wie ein Wald, braun wie Erde, bunt wie Blumen. Es waren auch einige Bäume dabei!
Was gewachsen ist, hat sich langsam zurückgezogen in den Mutterschoß der großen Mutter Erde. Die Farben wurden gilb, die Formen unscharf. Ich selber habe dies zunächst nicht bemerkt, aber die anderen schon! Schlimm wäre es drittens, wenn es der älter werdende Mensch überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nehmen würde - vielleicht weil ihm dazu die Fähigkeit fehlt, immer schon gefehlt hat! Die drei Stufen, wie wir alt werden!
Nun kommt etwas Wunderbares zum Tragen - der weiße, saubere und leuchtende Malgrund schimmert durch das Bild. So auch in der Würde des Alters: es ist wie im Meer - nicht mehr die Wellen und Wogen sind wichtig, sondern die Tiefe und Unendlichkeit der Elemente. Mir fallen die Ikonen der Ostkirche ein, wo der alles umschließende Hintergrund nie himmelblau oder Landschaft oder Gebäude ist, sondern reines Gold - bis hin zum Rand!
Eine neue Ebene legt sich über das verschwindende Bild. Schwarz wie der Tod, so sagen die einen. Andere sagen, kraftvoll wie die alten und doch zeitlosen Symbole der Religionen. Es macht mir nicht Angst, sondern es lädt ein zur Meditation. Ich arbeite als Seelsorger in einer Palliativstation - für Kranke in der Endphase und für Sterbende gilt meistens kaum mehr eines dieser vor- oder aufgelagerten schwarzen Symbole, dann tritt eher wieder etwas verblassende Farbe oder gar der Goldgrund hervor. Und eines erlebt jeder angesichts des Todes: dieser steht dann hoheitsvoll und wirklich vor uns, und - wie auf mittelalterlichen Bildern sichtbar - nimmt er uns die Krücken des Lebens fort und trägt uns dorthin, wo es diese nicht mehr braucht.
Zum Paradiese mögen Engel dich geleiten,
bei deiner Ankunft die Märtyrer dich begrüßen,
und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem.
Chöre der Engel mögen dich empfangen,
und mit Lazarus, dem einst so armen,
soll ewiges Leben dich erfreuen.
(Lateinische Antiphon um 700, aus der Sterbeliturgie der Kirche)