Ernst Barlach (1870 – 1938)

Bildhauer - meditativ und mystisch

 
 
Barlach - Russische Bettlerin

Russische Bettlerin (1907)

 

Eine eindrucksvolle Figur, von der man allerdings nur die Hände und Füße sieht, das Gesicht nur erahnen kann. Der Körper in sich zusammen-gesunken, aber durch die bewegten Beine lebendig und kraftvoll. Die Bettlerin öffnet sich nur durch die vorgestreckte offene Hand – ihre Sprache, ihre Bitte! Sie stützt sich von der Erde ab und gibt sich wirklich total aus der Hand. Nicht ihr Elend wird gezeigt, sondern ihre Bedürftigkeit. Sie ist angewiesen auf Hilfe, auf Mildtätigkeit, auf die Großzügigkeit anderer. Ihre Person wird umhüllt durch ein bergendes Kleid, durch einen verhüllenden Mantel. Für den Künstler war dies wohl die größte Herausforderung und Mühe, zusammen mit den wundervoll geschwungenen Linien der Skulptur. 

Von der Bettlerin gilt, was Barlach von seiner Russlandreise ins Tagebuch schrieb: „Die leise Welt, die abseits im Schatten steht, leidet. Verhungert, verlöscht, ohne dass die Welt und ihre Zeitungen davon widerhallen, macht mir mit ihrem Schweigen die Ohren gellen. Ich fühle voll Unbehagen ein falsches und unanständiges Verhalten zu den Dingen, und doch ist das bisschen Kunst das einzige, was mich von dem Druck und dem Zweifel erlöst – also, dass ein grundloses Vertrauen wiederkehrt.“

 

Ein vielseitiger Künstler -
ein sinnsuchender Forscher

Ernst Barlach (1870 – 1938)

Künstler werden oft nur von wenigen Hauptwerken her registriert. So auch Ernst Barlach, der neben seinen bekannten Plastiken zahlreiche Zeichnungen und literarische Kunstwerke hinterließ, ein vielseitiger Künstler und ein sinnsuchender Forscher. 1870 in Rostock geboren, verbrachte er sein Leben hauptsächlich in Ratzeburg. Nach seinen Kunststudien in Hamburg und Dresden wurde er besonders durch einen zweijährigen Aufenthalt in Paris sowie durch eine Russlandreise im Jahr 1906 geprägt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1938 musste er hinnehmen, dass seine Kunst im nationalsozialistischen Deutschland geächtet und verbannt wurde. Nach 1945 gelangte Barlach vor allem wegen seiner plastischen Kunstwerke in Holz und Bronze zu großer Bekanntheit.

Ein Schlüsselerlebnis für Barlach war sicher der Erste Weltkrieg, zunächst von ihm als Teilnehmer wie ein Aufbruch in die neue Zeit begrüßt, dann als Zusammenbruch der westlichen Zivilisation durchlitten. Dies verstärkt Barlachs Skepsis gegenüber tradierten Weltbildern und Sinnstiftungen. Zunehmend widmete er sich Grundfragen des Glaubens, doch konfessionelle Festlegungen blieben ihm fremd.

Barlachs Interesse am Jenseitigen, rational nicht Fassbaren regt sein gesamtes skulpturales, grafisches und literarisches Schaffen an. Er selber formuliert es so: „Man klebt die Etiketten ‚kultisch’ und ‚mystisch’ auf meine Arbeiten und zerbricht sich den Kopf darüber, welche Rätsel ich aufgebe und mit wie viel Geschick ich deren Lösung erschwere. Mein Glaube ist: Was sich nicht in Worten ausdrücken lässt, kann durch die Form verfügbar werden und in den Besitz eines anderen übergehen. Ich brauche einen Gegenstand, an dem ich mir die Zähne zu Stücken zerbeiße.“ 


Ernst Barlach steht für Künstler, die Meditation kannten 
und als Hilfe einer gelungenen Lebensform echt "plastisch" ausdrücken konnten.

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Mutter Erde, Güstrow, Gertrudenkapelle (1917)

 

Viele Kunstwerke von diesem visionären Künstler befinden sich heute in dem Atelier am Inselsee sowie in der Gertrudenkapelle im Güstrower Dom. So auch die bekannte Deutung der "Mutter Erde". Segen von unten, Segen von oben - eines der vier Hauptelemente und Segen für die Menschheit.

In der Zeit des Nationalsozialismus gehörten seine hochgeschätzten und häufig nachgeahmten Vorbilder zur "entarteten Kunst". Der Hass gegen Ernst Barlach führte so weit, dass viele seiner Plastiken entfernt und sogar eingeschmolzen wurden. Der Künstler hat diese Zeit durchlitten und von sich gesagt: "Was ich nicht in Worten ausdrücken kann, versuche ich in die entsprechende Form der Kunst zu verwandeln."

 

Ernst Barlach
Das Wiedersehen (1926)

 

Barlach - Jesus und Thomas


„Das Wiedersehen“ heißt die Gruppe „Jesus und Thomas“, die Barlach 1926 in Nussholz vollendete (gut einen Meter hoch). Der auferstandene Christus offenbart sich dem Apostel Thomas nicht durch seine Wundmale. Es geht mehr um das Erkennen des Totgeglaubten, um einen Augenblick höchster dramatischer Spannung, der über die rein biblische Erzählung weit hinausgeht.

 

 Der Zweifler drängt sich an den Herrn, blickt Hilfe suchend zu ihm auf, klammert sich an ihn. Jesus hält ihn, richtet ihn auf, trägt ihn. Sein Gesichtsausdruck eher verhalten, wehmütig, nicht so recht österlich.
 

Aber er nimmt ihn auf, er wird ihn auch als Jünger erhalten. Dasselbe sagen auch die Hände, die den Herrn und seinen Apostel verbinden. Es ist eine Geste, die den Glauben als Suchen, als noch nicht vollendet versteht. Darin liegen auch Aussage und Kraft für jeden, der sich meditativ auf dieses Kunstwerk einlässt. Ein Bild, um glauben zu lernen.

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