Wassilij Iwanowitsch Surikow

Verbannung der Bojarin
Feodossija Prokofjewna Morosowa 

 

Surikow, Verbannung der Bojarin Morosowa

Surikow - Die Bojarin Morosowa wird 1671 in die Verbannung geschickt 
(Tretjakow -Galerie Moskau, 587 x 304 cm)

 

Hinführung zum Bild von Wassilij Iwanowitsch Surikow 

(vollendet 1887)

Gefühle, russische Gefühle, altrussische Grundgefühle sind in dem berühmten großen Bild von Surikow gebunden dargestellt. Mitten in der winterlichen russischen Stadt die Ausstoßung einer Abweichlerin, welch einen Tumult der Gefühle spüren wir in dem Bild! Die erstarrte kirchliche und gesellschaftliche Macht, kalt und gefühllos, sie wird dieses Aufflammen der zutiefst verletzten Gefühle nicht mehr löschen können. Der selbst engagierte Maler hat in einer vergessenen Einzelszene der Geschichte Russlands sein eigenes Vertrauen in die Leidenskraft der russischen Seele ausgedrückt.

 

In der breiten Mitte des großen Bildes (2500 mal 1250 mm!) liegt die angekettete Bojarin und "Bauernfürstin" Theodosia Morosowa auf einem offenen Pferdeschlitten. Schon 2 Jahre lang hatte sich Surikow von diesem Bild aus die Gesamtkomposition vorgestellt. Im Zentrum der erhobene rechte Arm der standhaften Frau mit dem altkatholischen Kreuzzeichen (Zwei-Finger-Kreuz), ungebrochen in ihrer Vitalität und in ihrem neuen Glauben. Als Raskolnika (Abgefallene) weist der aufgeputschte Mob in die ferne Verbannung, aber hoheitsvoll bleibt ihre Erinnerung zurück.
 

In den Gebärden und Kleidern vieler Personen erkennen wir ihre Freunde und Anhängerinnen, nicht zuletzt die Armen wie die Bettlerin und den Bettler rechts unten. Prachtvoll gekleidete Bojarinnen, ob der Grausamkeit erschreckte Gesichter, verblödet lachend die Nutznießer und lüsternen Zuschauer der apokalyptischen Szene, der Scharfrichter darf nicht fehlen sowie nicht der Dorftrottel. Ein schwarz vermummtes bleiches Gesicht mitten unter den Frauen - sollte dies die Schwester der Bojarin sein, die später mit ihr in einem Klostergefängnis verhungern, als Märtyrin sterben wird? Eine gewaltige Bewegung in der Menschenmasse, die der inneren Wallung der Gemüter entspricht. Die Perspektive des Schlittens, die mitlaufenden Figuren und das Pferd voran weisen den Weg, ab in die Verbannung!

 

Morosowa - Surikow
 

Zur Vertiefung

 

·         Die Seele hat dunkle Tiefen und Abgründe, ist lebendig und heiß auch in Eiszeiten und Frost.

·         Ich schließe rechtzeitig die Augen vor dem Bild und versenke mich in mein eigenes Herz.
 

·         Das Volk ist oft genug nur Leidensdulder, es klammert sich an Propheten und Heilige.

 Doch kein Prophet gilt in seinem Volk, in seiner Zeit, aber seine Saat wird sprießen,
 blühen, Frucht tragen.

 

·         Die Märtyrin ist am Ende ihrer Macht, doch ihr Geist ist Feuersglut und wird entzünden -

·         arm und reich, jung und alt, Mann und Frau entflammt sie zu Nachfolge, Glauben, Treue.
 

·         Die Schwurhand, Segen und Bekenntnis: Zwei gerade Finger für "Jesus Gott und Mensch", 
  
         drei krumme Finger für "Teufel, Zar und Patriarchen" (Kampfdeutung der Altgläubigen).

 

 

Surikow Verbannung Bojarin Morosowa     Surikov Verbannung Bojarin Morosova Bettler

Trauernde Frauen (schwarz - die Schwester?)              Ein Altgläubiger segnet die Fürstin

 

Stichworte: Surikow - Morosowa, Altgläubige, Zweifingerkreuz, 
Historienmalerei Russlands, Verbannung Morosowa nach Sibirien,
Raskolnikij, Patriarch Nikon, Erzpriester Awwakum, Altgläubige

 

Patriarch Nikon und Erzpriester Awwakum

 

Das 17. Jahrhundert in Russland, also vor Peter dem Großen, war durch allgemeine Unsicherheit und viele Aufstände gezeichnet. Um 1650 traf es auch die Orthodoxe Staatskirche bis in die Wurzeln, so dass einerseits das Verhältnis zum Zaren für immer getrübt und die Kirche in eine Glaubensspaltung geführt wurde. Diese Kirchentrennung entflammte sich an notwendig erachteten Reformen der Liturgie und der Kirchenführung unter dem starken Patriarchen Nikon.
 

Zum Anführer wurde der Erzpriester Petrow Awwakum, der in den weitverstreuten russischen Gebieten viele Anhänger um sich versammelte, bis es 1667 zur formellen Kirchenspaltung kam. Awwakum wurde mit Frau und Kindern öfters weit nach Ostsibirien sowie in den Norden an das Eismeer verbannt, und schließlich 1682 in Moskau als "Raskolnikov" (Abtrünniger) verbrannt.
 

Zeitweise hatte Awwakum Schutz und Aufnahme bei einer reichen Bojarin gefunden, der BauernfürstinFeodossija Prokofjewna Morosowa. Da sie auf ihren weit verstreuten Gütern den "Altgläubigen" Zuflucht geboten hatte, wurde sie selbst gefangen genommen und nach Schmähung und Folter im entfernten Pafnuti-Kloster in Borowsk mit ihrer Schwester zu Tode gehungert (1675, 43 Jahre alt).
 

Petrow Awwakum und Theodosia Morosowa werden von vielen Altgläubigen als Märtyrer und Märtyrin verehrt. Die Altgläubigen hatten in Russland große Bedeutung und pflegten eine tiefgläubige, konservative Tradition, wie sie dem russischen geplagten Volk als "Leidensdulder" entgegenkam. Besonders im 19. Jahrhundert galt ihre Glaubensgemeinschaft als Verkörperung der Religiosität des russischen Volkes und Rettung vor nihilistischer Glaubenslosigkeit. Unter der Vielzahl besonderer Richtungen gibt es in Russland heute etwa 300 altgläubige aktive Gemeinden (robótajut - sie arbeiten!).

Die Wandermaler - Grigoriy Grigorievich Myasoyedov

Grigoriy Myasoyedov - Peredvishniki - Der Zemstvo beim Mittagessen (1872)
 

Grigoriy Myasoyedov - Der Zemstvo beim Mittagessen (1872)

Zemstvo:  lokale Verwaltungsbezirke ab 1861, für Bildung, Post, Gesundheitswesen zuständig.
 

Peredvishniki - Wandermaler hießen in Russland eine Gruppe von Malern, die aus Protest gegen die Restriktionen der Kaiserlichen Kunstakademie Sankt Petersburg im Jahr 1870 eine eigene Genossenschaft bildeten. Als Maler des russischen Realismus bildeten sie nicht selten die vielschichtigen Charaktere des gesellschaftlichen Lebens mit kritischen Tönen ab. In der humanistischen Kunst der Peredwishniki zeigte sich die entschlossene Verurteilung der absolutistischen Herrschaft Russlands. Die bedeutendste Intention ihrer Kunst war die Darstellung des städtischen Lebens sowie der Traditionen des Volkes. 

Bis 1923 organisierten die zur Avantgarde und Demokratie gehörenden Künstler bis 1923 insgesamt 48 größere Wanderausstellungen. Viele talentierte und vor allem jüngere Maler gingen später zur den politisch neu entstehenden sowjetischen Kunstrichtungen über.

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